75 Jahre Formel 1 – Der Beginn der Kommerzialisierung
- Ramon Egger
- 23. Aug.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 24. Aug.

Bis in die frühen 70er-Jahre war die Formel 1 ein mehr oder weniger chaotischer Haufen aus Einzelinteressen: Jeder verhandelte mit jedem, Preisgelder wurden noch bar ausbezahlt und TV-Übertragungen waren Zufall. Dann kam Bernie Ecclestone. 1972 kaufte er das Team von Brabham, 1974 entstand unter seiner Regie die Formula One Constructors Association FOCA, die mehrheitlich die britischen Teams repräsentierte. Ecclestone begann, die Formel 1 nach seinen Vorstellungen zu formen. Er zentralisierte die TV-Rechte, verhandelte knallhart mit den Veranstaltern und schuf ein System, das alle Beteiligten finanziell abhängig machte.
Mit der erhöhten medialen Aufmerksamkeit professionalisierte sich auch das Sponsoring. Es war die Ära der Tabakindustrie in der Formel 1, die einige der unvergesslichsten Lackierungen hervorbrachte: Lotus und John Player Special, Williams und Camel, McLaren und Marlboro oder Brabham und Parmalat.
Abenteuerliche Konzepte
Mit der Professionalisierung des Sports erhöhte sich auch der Druck auf die Teams nach guten Resultaten. Die Experimentierfreudigkeit war entsprechend hoch – und das Reglement liess noch kreative Exzesse zu. Tyrrell trat 1976 erstmals mit dem berühmt-berüchtigten «6-Wheeler» an: Damit die Vorderräder vollständig hinter dem Flügel verschwinden konnten, duften diese maximal 10 Zoll messen. Um die Aufstandsfläche der Reifen zu vergrössern, fügte Chef-Konstrukteur Derek Gardner einfach zwei Räder mehr hinzu.
Der Erfolg von Tyrell war überschaubar – Colin Chapman machte das deutlich besser: Mit dem Lotus 72 revolutionierte er 1970 die Technik in der Formel 1, mit den seitlich montierten Kühlern, den grossen Front-und Heckflügeln und den innenliegenden Bremsen. Während sechs Jahren gewann Lotus insgesamt 20 Rennen, holte 39 Podiumsplätze, 17 Pole-Positions, sowie drei Konstrukteurs- und zwei Fahrer-Weltmeistertitel, obwohl das Auto nur sanft weiterentwickelt wurde. 1975 dann war der veraltete Lotus 72F chancenlos gegen Ferrari und Brabham, die mit der Aerodynamik nachgezogen hatten.
Die Entdeckung des Ground Effects
1977 brachte Chapman die nächste Revolution: Der Lotus 78 gilt dank dem Ground Effect als dasjenige Auto, das die Formel 1 in die Neuzeit der Aerodynamik gebracht hat. Mit dem Bodeneffekt und den grossen Flügeln läutete der Lotus 78 das Zeitalter der «Wing Cars» ein. Um den Unterdruck unter dem Fahrzeug noch mehr zu erhöhen, kamen Schürzen aus Kunststoff zum Einsatz, die verhinderten, dass von den Seiten Luft unter das Auto fliessen konnte, was den Bodeneffekt zerstört hätte.
Noch einen Schritt weiter ging Gordon Murray, damals Chefentwickler bei Brabham. 1978 präsentierte er den BT46B «Fan Car» mit einem riesigen Ventilator, der die Luft unter dem Fahrzeug absaugt – offiziell zur Kühlung, in Wahrheit aber zur Erzeugung von massivem Anpressdruck. Beim einzigen Renneinsatz in Schweden gewann Niki Lauda auf Anhieb. Obwohl die FIA die Konformität mit dem Reglement bestätigt hatte, zog Brabham-Chef Bernie Ecclestone das Fahrzeug wieder zurück. Es war vor allem ein politischer Entscheid: Eccelstone fürchtet sich vor dem Ärger der anderen FOCA-Teams, der ihn möglicherweise seine eben erst erlangte Machtposition gekostet hätte.
Das Ende des Ground Effects
Aber die Box der Pandora war geöffnet, mit zunehmendem Anpressdruck stiegen die Kurvengeschwindigkeiten und die Fliehkräfte brachten die Piloten an ihre körperlichen Grenzen. Was in der Theorie funktionierte, erwies sich in der Praxis als schwer zu kontrollieren. Riss der Verloren die Gummischürzen den Kontakt zum Boden, wurden die Fahrzeuge unbeherrschbar. So verbot die FIA in der Saison 1981 die Schürzen und schrieb eine minimale Bodenfreiheit von 6 Zentimetern vor. Aber die Teams wollten die gewonnenen Vorteile nicht mehr aufgeben.
So verpackte Lotus mit dem 88 das gesamte Chassis in eine Karosserie, die in der Boxengasse zwar die Mindesthöhe einhielt, sich auf der Strecke aber absenkte, knapp über den Boden und Brabham legte beim BT49C die hydropneumatische Federung so weich aus, dass diese durch den Anpressdruck bis an den Anschlag einfederte. Die aerodynamischen Experimente endeten als die FIA für die Saison 1983 einen flachen Unterboden vorschrieb.
Cosworth DFV – Der Motor des Jahrzehnts
Während die Werksteams grösstenteils auf eigene Motoren setzten, gab es für die Privatteams nur einen Motor: den Ford Cosworth DFV. 1967 für Lotus entwickelt, wurde er rasch zum dominanten Antrieb einer ganzen Ära. Leicht, kompakt, leistungsstark und kostengünstig war er und machte so aus den Privatteams ernstzunehmende Gegner für die Werksteams. Eigentlich sollte der DFV nur von Lotus eingesetzt werden, aber Walter Hayes, damals PR-Manager von Ford Grossbritannien, war so überzeugt vom Motor, dass er nicht nur gegen schwächere Gegner gewinnen wollte. Also erklärte er Colin Chapman, dass künftig Lotus keinen Exklusivanspruch auf den Ford-Motor mehr hatte. Von 1967 bis 1985 kam er in 262 Rennen zum Einsatz, gewann davon 155. In den Jahren 1969 und 1973 gab es keinen Sieg, der nicht mit einem DFV errungen wurde. Erst die Rückkehr der Turbomotoren in den 1980er-Jahren beendete die Ära des DFV – nach 15 Jahren der Dominanz.
Die tragischen Unfälle
Die 1970er-Jahre waren nicht nur laut und schnell, sie waren vor allem auch: gefährlich. Besonders in Erinnerung blieb der Unfall von Jochen Rindt, der zum ersten und bisher einzigen posthum gekörnten Weltmeister wurde. Beim Training zum Grossen Preis von Monza am 5. September 1970 überholte er bei hoher Geschwindigkeit Denis Hulme, als vor der Parabolica-Kurve an seinem Lotus 72 vorne rechts die Bremswelle brach, sein Auto mit hoher Geschwindigkeit in die Leitplanken einschlug, der Vorderwagen auseinanderbrach und Rindt tödlich verunglückte. Rindt behielt seinen Vorsprung in der Meisterschaft bis zum Ende der Saison und seine Witwe Nina nahm den Weltmeisterpokal entgegen.
Nur drei Jahre später verunglückte der junge Brite Roger Williamson in Zandvoort, weil sein brennendes Auto nicht rechtzeitig gelöscht wurde. Die Streckenposten standen hilflos daneben, während David Purley verzweifelt versuchte, das Auto eigenhändig umzudrehen. Es gelang ihm nicht. Die Szene, im Fernsehen übertragen, löste Entsetzen aus. Ebenfalls 1973 starben François Cevert in Watkins Glen und Peter Revson im Trainingslauf zum GP von Südafrika. Helmuth Koinigg, ein junger Österreicher mit Potenzial, kam in Watkins Glen 1974 ums Leben, als sich die schlecht montierten Leitplanken bei seinem Unfall lösten und den Österreicher enthaupteten.
Jackie Stewarts Kampf
Der traurige Höhepunkt der öffentlichen Wahrnehmung war der Feuerunfall von Niki Lauda 1976 auf der Nordschleife des Nürburgrings. Laudas Ferrari schlug in der schnellen Linkskurve beim Bergwerk ein, fing sofort Feuer und wurde von nachfolgenden Autos gerammt. Lauda überlebte – schwer verbrannt, aber bei Bewusstsein. Dass er nur sechs Wochen später in Monza wieder im Auto sass, war ein medizinisches und psychologisches Wunder – und machte ihn zur Legende.
Solche Vorkommnisse waren keine Ausnahmen, sondern symptomatisch für die Nachlässigkeit dieser Epoche. Einer der ersten, der lautstark dagegenhielt, war Jackie Stewart, der für Helmpflicht, Gurtpflicht, mobile Rettungseinheiten und bessere Absperrungen kämpfte. Anfangs wurde Stewart für seinen Kampf verspottet, aber der Druck wuchs – auch durch die Fans, die ihre Ikonen nicht mehr sterben sehen wollten. Langsam begannen sich die Strukturen zu verändern, aber es brauchte noch viele weitere Opfer bis Sicherheit nicht mehr als Hindernis, sondern als Voraussetzung für Spitzenleistung begriffen wurde.
Text: Ramon Egger – Bilder: Archiv, Alamy, Martin Lee.
🔐 Dies ist eine gekürzte Version des Artikels aus AutoZeit 4/2025. Die ausführliche Geschichte mit mehr Hintergründen und mehr Bildern gibt es im Print-Magazin oder mit einem Abonnement unter autozeit.ch/e-paper.
Serie «75 Jahre Formel 1»
Am 13. Mai 1950 startete in Silverstone unter der Schirmherrschaft der FIA die erste Formel-1-Weltmeisterschaft. Zum Jubiläum blicken wir in einer mehrteiligen Serie zurück auf die verschiedenen Epochen, die wichtigen Teams und Fahrer und die Schlüsselmomente in der 75-jährigen Geschichte der «Königsklasse des Motorsports».















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